Basler ‹Grenzfälle›

zwischen 1933 und 1945


Sonderausstellung im Historischen Museum Basel
«Jede Generation sollte sich mit dem Thema Nationalsozialismus auseinandersetzen und dafür eine eigene Form suchen.» Dies ist, sinngemäss aus einer Tagung in Frankfurt a.M. zitiert, einer jener Sätze, der mir aus der Vorbereitung der Ausstellung ‹Grenzfälle – Basel 1933–1945› besonders in Erinnerung geblieben ist. Das Votum führt zwangsläufig zu den Fragen, warum jede Generation dies tun sollte und welche Form für die heutige Zeit die geeignete sei. Auch im Vorfeld unseres Projekts haben wir uns dies gefragt. Beim Blick auf aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen ergeben sich die Antworten vermeintlich von selbst: Das Wiedererstarken antidemokratischer und populistischer Kräfte in Europa oder die ‹Flüchtlingskrise› erscheinen vielen Menschen als «schon einmal dagewesen». In der öffentlichen Debatte werden unsachliche Bezüge zur NS-Zeit hergestellt, etwa wenn ein Politiker vor einem «Klima-Holocaust» warnt. Es sind dies Vergleiche und Bezugnahmen, bei denen sich die Nackenhaare der Historikerin sträuben, und trotzdem existieren sie. In einer Ausstellung, die sich den Basler Verflechtungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland widmet, sollte mit diesen Bezugnahmen ein konstruktiver Umgang gefunden werden, der beim Publikum eine kritische Reflexion über solche Vergleiche anregt.

Das Historische Museum Basel versteht sich als Bindeglied zwischen wissenschaftlicher Forschung und einem breiten Publikum. Die zielgruppengerechte Vermittlung geschichtlicher Inhalte ist eine unserer Kernaufgaben. Dabei ist die Vereinfachung hochkomplexer historischer Zusammenhänge bei gleichzeitiger inhaltlicher Korrektheit eine der grossen Herausforderungen. Neben dem Einbezug von Forschungsliteratur kommt eigenen wissenschaftlichen Recherchen in Archiven und Bibliotheken daher eine zentrale Bedeutung zu. Selbst hinter dem kürzesten Objekttext einer Ausstellung steht eine stunden-, teilweise tagelange Auseinandersetzung mit einem historischen Sachverhalt. Exponate wollen in einen Kontext gestellt und dem Publikum erklärt werden. Beim Notariatssiegel von Marcus Cohn (1890–1953) beispielsweise geht es in unserer Ausstellung nicht um die äussere Gestalt, den Hersteller oder die Materialität des Siegels, sondern um die Person, für die es angefertigt wurde. Die Ausstellung präsentiert Objekte nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen der Personen und Geschichten, mit denen sie verknüpft werden können. Der Blick auf Akteurinnen und Akteure, ihre Entscheidungen und Handlungen sollen einem breiten Publikum, selbst wenn es über geringes historisches Vorwissen verfügt, den Zugang zur Ausstellung vereinfachen. Die präsentierten Geschichten beleuchten die Komplexität der Verbindungen der Einwohnerinnen und Einwohner der Grenzstadt Basel, der eidgenössischen Behörden und der international tätigen Unternehmen zu NS-Deutschland. In ihrer Gesamtheit verweisen diese ‹Grenzfälle› darauf, dass es in den Beziehungen und Haltungen zu Deutschland und zum Nationalsozialismus ein klares ‹Schwarz oder Weiss›, ein ‹Richtig oder Falsch›, oft nicht gab. Die Verflechtungen waren vielmehr vielschichtig und nicht selten ambivalent.

Die Ausstellung ‹Grenzfälle – Basel 1933–1945› wird vom 21. August 2020 bis 28. März 2021 im Historischen Museum Basel – Barfüsserkirche gezeigt. Sie wurde von der FAG mit einem grosszügigen Beitrag für wissenschaftliche Arbeiten gefördert. Die Mittel wurden für Archivrecherchen in der Schweiz und in Deutschland, für Teilnahmen an Tagungen und für weitere wissenschaftliche Arbeiten an der Ausstellung und der gleichnamigen Begleitpublikation
verwendet.

Patrick Moser
Projektleiter und Kurator