Transformation pestizidarme Landwirtschaft

Transformation zu pestizidarmer Landwirtschaft: Praktiken, Diskurse und Governance


Die moderne Landwirtschaft stützt sich stark auf chemisch-synthetische Pestizide, um Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten zu schützen und Unkräuter in Schach zu halten. So können Landwirt:innen hochwertige Nahrungsmittel verlässlich produzieren. Der Einsatz von Pestiziden ist jedoch mitverantwortlich für Umweltschäden, wie z.B. den Biodiversitätsverlust, und birgt Risiken für die menschliche Gesundheit. Deshalb ist es ein europaweites Ziel, die Landwirtschaft hin zu einer pestizidarmen Produktion zu transformieren. Die Politik setzt vorrangig auf finanzielle Anreize, z.B. indem Landwirt:innen für Produktionsausfälle und Mehraufwand von alternativen Pflanzenschutzmassnahmen entschädigt werden. Diese Anreize haben bisher nur begrenzten Erfolg gezeigt, denn die Einsatzmengen von Pestiziden sind über die letzten Jahre kaum gesunken. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel meiner Doktorarbeit, empirisch Möglichkeiten und Bedingungen dafür herauszuarbeiten, wie die Transformation zu pestizidarmer Landwirtschaft gestaltet werden kann. Dazu habe ich am Beispiel der Schweiz die sozialen Praktiken von Landwirt:innen, die öffentlichen Diskurse rund um Pestizide und Reformversuche der Agrarumweltpolitik untersucht.

Mithilfe von Interviews und einer Umfrage unter Landwirt:innen konnte ich aufzeigen, dass Pflanzenschutzpraktiken nicht nur auf Entscheidungen beruhen, sondern auch Routinen sind. Ich habe fünf verschiedene Typen von routinierten Pflanzenschutzpraktiken identifiziert, von denen nur bei zweien eine Wirkung von finanziellen Anreizen erwartet werden kann. Ausserdem habe ich die Beziehungen und Mechanismen zwischen individuellen (z.B. persönliche Normen) und strukturellen Faktoren (z.B. Beratungsdienste) beim Pestizideinsatz untersucht. Meine Ergebnisse zeigen, dass strukturelle Faktoren den individuellen Handlungsspielraum der Landwirt:innen einzuschränken und so Routinen im Pestizideinsatz zu stabilisieren scheinen.

In einer weiteren Studie nahm ich zwei Volksinitiativen zum Anlass, die öffentlichen Diskurse rund um Pestizide zu beleuchten. Anhand eines Datensatzes von über 2’500 Medienartikeln und mithilfe von maschinellem Lernen und Diskursanalyse konnte ich zwei breite Diskurskoalitionen identifizieren. Nicht-landwirtschaftliche Akteure diskutierten das Thema Pestizide vor allem im Hinblick auf Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefahren. Damit verbundene Narrative wurden genutzt, um den Pestizideinsatz zu delegitimieren und einen radikalen Wandel zu fordern. Landwirtschaftliche Akteure betonten hingegen die bereits getroffenen Massnahmen zur Risikoreduktion und die Arbeit an bspw. technologischen Lösungen. Die zugrundeliegenden Narrative wurden genutzt, um Pestizideinsatz zu (re)legitimieren und für eine schrittweise und gemässigte Reduktion zu plädieren.

Schliesslich habe ich zusammen mit einem Kollegen von Agroscope eine vergleichende Analyse von drei Versuchen, die Schweizer Agrarpolitik zu reformieren, durchgeführt. Als gemeinsamen Grund für das Scheitern der drei Reformversuche haben wir den Zielkonflikt zwischen umweltfreundlicherer Agrarpolitik und dem angestrebten nationalen Selbstversorgungsgrad ausgemacht.

Zusammenfassend lassen sich eine Reihe von Möglichkeiten und Bedingungen für die Transformation der Landwirtschaft ableiten. Erstens sollten Politikinstrumente besser auf die Diversität der Pflanzenschutzpraktiken abgestimmt werden. Zweitens liegen die Ansatzpunkte um «Routinen zu durchbrechen» stärker in den strukturellen Gegebenheiten als bei den individuellen Landwirt:innen. Drittens führen diskursive Kämpfe nicht unbedingt zu einer Destabilisierung des Pestizid-Regimes, sondern vielmehr zu schrittweisen und kleinen Anpassungen an gesellschaftliche Erwartungen. Und viertens erscheinen neue Strategien wie das Verändern von Konsummustern (z.B. Food waste und Fleischkonsum reduzieren) vielversprechender als Anreize für eine weitere Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion zu setzen. Hierfür braucht es eine Ausweitung der Sektorpolitik auf eine umfassende Agrar-Ernährungspolitik.

Antonia Kaiser